Samstag, 30. November 2013

Große Koalition – die Präambel

Bereits in der Präambel finden sich bemerkenswerte Aussagen, die sich bei genauem Hinlesen teilweise selbst verflüchtigen oder in denen sich geschickt unbemerkt Aussagen untermischen oder einfügen.

So wird - als kleines erstes Beispiel - gleich im ersten Absatz die Aussage "die Beschäftigung liegt auf Rekordniveau" innerhalb mehrerer Hymnen auf den Zustand von Wirtschaft und Staatseinnahmen eingebettet, was in "[...] die Neuverschuldung im Bund konnte fast auf null reduziert werden" gipfelt.
Über 6 Milliarden € Neuverschuldung als "fast null" zu bezeichnen kann nur jemandem einfallen, der nicht mit eigenem Geld arbeitet und dies nur relativ zu selbst zu verantwortenden schon erheblich größeren Schuldenmengen gesehen haben möchte.

Die Rekordbeschäftigung hingegen ist objektiv eine Beruhigungspille:
Gemäß statistischem Bundesamt sind 42,1 Mio. Menschen erwerbstätig. Laut IAB haben 1991 diese Beschäftigten noch ca. 52 Milliarden Stunden gearbeitet, während dies in 2012 nur noch ca. 49 Milliarden". Weniger Arbeit wurde also – mit allen Auswirkungen – auf weniger Köpfe verteilt:
Die Teilzeitbeschäftigung stieg von 16 % auf heute 35 %, weitere 13 % sind geringfügig beschäftigt (Minijob, 1€-Job). Darüber hinaus ist statistisch jeder Bürger "erwerbstätig", der mindestens 1h pro Woche arbeitet. In der "Rekordzahl" sind also auch unzählige Schüler und Rentner, die gelegentlich als Zeitungsausträger oder Inventuraushilfe o.ä. etwas dazuverdienen.
(Quelle: u.a. Eva Roth, http://www.fr-online.de/arbeit---soziales/beschaeftigung-in-deutschland-truegerischer-rekord-am-arbeitsmarkt,1473632,24828284.html )

Nach weiteren diskussionswürdigen Ausführungen wird in folgenden Absätzen klar, dass wohl die Reaktion weiterhin der Aktion vorgezogen wird. Ein großes Gewicht wird in den Absätzen 3 und 4 auf die globale Einbettung gelegt, die "neuen" Herausforderungen der Digitalisierung und des demografischen Wandels weit ausholend beschrieben, um dann die großen Überpunkte zum vorab schnell Lesen anzuheften. Möglicherweise, um dem Leser die Möglichkeit zu geben, sich die Details wegen Ermüdung zu ersparen

Bevor es dazu kommt, wird die soziale Marktwirtschaft beschworen.
Sie wird hier allerdings nicht als Ziel oder Maxime, sondern lediglich als "bewährter Kompass" verwendet, die jetzt "gestärkt" werden soll, nachdem sie existent war und in den letzten fast 30 Jahren in den Hintergrund gedrängt wurde.
Oft wird in kleinen Formulierungen deutlich, wie wenig nah Politik teilweise ihren eigenen Worten steht, wenn man sie ohne die Zwischentöne liest oder hört.

Und wie soll dies alles gelingen?

Neuverschuldung stoppen und Schuldenstandsquote senken
Quoten sind relativ und somit heißt dies nicht Schuldenstand senken. Inflation abwarten senkt (ohne Neuverschuldung oder Abbau) ebenfalls die Quote (nominal).

Wettbewerbsfähigkeit stärken und Investitionen erhöhen
Um es klar zu sagen: es geht um die internationale Wettbewerbsfähigkeit, denn "unser Land braucht Exportstärke und eine von Investitionen und Kaufkraft getragene wirtschaftliche Entwicklung".Über Binnenkaufkraft wird hier nicht gesprochen, statt dessen wird bei genauem Hinsehen klar, wo diese Wettbewerbsfähigkeit herkommt: “Es ist uns gelungen, die Lohnzusatzkosten unter 40 Prozent halten”. Dass auch die Löhne im Schnitt seit Jahren real sinken, wurde wohl nur vergessen zu erwähnen?

Regeln für die Finanzmärkte – Schutz für Steuerzahler und Sparer
Hier wird dann, während der Finanzkrise weitgehend ignoriert, festgestellt, dass, "wer große Risiken eingeht, [...] auch die Haftung übernehmen" muss und dies die "Spielregeln der Sozialen Marktwirtschaft" sind. Nun will man "die vorrangige Haftung von Eigentümern und Gläubigern der Banken".
Sparguthabeninhaber sind für Banken Gläubiger ...

Mindestlohn einführen, Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit verhindern
Nachdem man auf das Vertrauen in Arbeitnehmer und Unternehmer setzt, will man mit "allgemein verbindlichen Tarifverträgen" für "faire Löhne" sorgen. Ein Eingriff in Tarifautonomie? Möglich, denn sie ist nur noch "hohes Gut" und somit nicht unantastbar. Einzige klare Aussage ist, "Den Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit werden wir verhindern". Ich bin gespannt.

Chancengerechtigkeit durch Bildung stärken
Außer der Festlegung (Beschränkung?) von Forschungsausgaben auf 3 % des BIP finden sich hier nur unklare Angaben über eine Erhöhung der Mittel für Bildung im "Zusammenwirken von Bund und Ländern", was selbstverständlich eine Bundesregierung nur unzulänglich in der Hand hat.

Standortvorteil Infrastruktur mit mehr Investitionen stärken
Hier bekennt man sich zur Verkehrsinfrastruktur als wichtigem Wirtschaftsfaktor und will "Straßen, Bahnen und Wasserwege erhalten und wo nötig ausbauen", was die "europarechtskonforme PKW-Maut" rechtfertigt ", mit der wir Halter von nicht in Deutschland zugelassenen PKW an der Finanzierung [...] beteiligen wollen, ohne im Inland zugelassene Fahrzeuge höher als heute zu belasten". Dem ist wenig hinzuzufügen. Wie dies jedoch "gerecht" umzusetzen ist, bleibt offen.

Energiewende voranbringen – Wirtschaftsstandort sichern
Es werden zwei Faktoren verknüpft, die wohl auch die Sperrung der Regierung zu den CO2-Grenzen der EU für PKW-Flotten, rechtfertigen sollen. Interessant ist die Benennung der Energiewende als "eine der größten Herausforderungen" "für den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes". Dennoch bekennt man sich dazu, und will "Deutschland zu einem der modernsten Energiestandorte der Welt entwickeln" und macht ein magisches Viereck auf: Bezahlbarkeit, Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit, wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit. Zum Thema Versorgungssicherheit finden sich im Folgenden noch interessante Ausführungen.

Flächendeckendes Breitbandangebot und WLAN-Ausbau
Nachdem also das bundeseigene Telekommunikationsunternehmen privatisiert wurde, will die Regierung "bis 2018 flächendeckend schnelles Internet in allen Teilen unseres Landes verfügbar machen", die "Netzneutralität sichern" und in "den Städten [...] die Voraussetzungen für kostenlose WLAN-Angebote schaffen". Klingt nach Hoheitlichkeit der Aufgaben, die nun - privatisiert - kostspielig zu realisieren sind, wenn man Unternehmen dazu zwingen will, etwas zu tun, was bisher, wohl aus unternehmerischen Überlegungen, nicht getan wurde?

Altersarmut verhindern – Lebensleistung würdigen
Der Satz "Die Erfolgsgeschichte der steigenden Beteiligung Älterer am Erwerbsleben in Folge der Rentenreformen wollen wir fortschreiben" erschließt sich mir nicht vollständig. Meines Wissens wurde noch unter Helmut Kohl begonnen, staatlich sanktioniert und gefördert, Arbeitnehmer über 53 Jahren massiv aus dem Erwerbsleben zu drängen und somit auch die Renten dieser Menschen nachhaltig zu senken, um dann später das Renteneintrittsalter nach oben zu setzen. Ob derart widersinnig anmutendes Verhalten fortgeschrieben werden sollte?
Der Grund, warum immer mehr Ältere arbeiten, dürfte auch drohende Altersarmut durch Rentenreform sein:  Kein Erfolgsmodell.
Jedenfalls nicht für die Betroffenen.
Weiterhin dachte ich früher, das deutsche Rentensystem sei ein solidarischer Generationenvertrag und wundere mich also nun: "Wir werden daher eine solidarische Lebensleistungsrente einführen.". War die Bewertung von Erziehungs- und Bildungszeiten schon immer problematisch, wird es nun noch wohl noch komplizierter oder ist dies der versteckte Beginn, Teile der Rente zu einer Individualversicherung umzubauen, in der für bestimmte Tätigkeiten aus Steuermitteln Töpfe angelegt werden? Fest steht, dass nun auch das Renteneintrittsalter wieder aufweichen soll, Erziehung und Bildungsleistung weiter gestärkt und die Mittel für die Pflege ausgeweitet werden sollen.

Starke Kommunen – zukunftsfeste Finanzbeziehungen von Bund und Ländern
Die Handschrift der CSU schimmert hier, zumindest unklar formuliert, durch, denn man will "die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu ordnen". Die nötige Finanzausstattung der Länder muss jedenfalls "vernünftig" sein...

Zusammenhalt sichern und Bürgerrechte stark machen
Es soll mehr Gewicht auf Ehe und Familie gelegt werden und auf die Gleichstellung der Frauen.
Wirtschaftlich interessant ist das Ansinnen, ein "Recht, aus einer Teilzeitbeschäftigung wieder in eine Vollzeitstelle zurückzukehren" festzuschreiben. Zumindest in soll, wer "in Deutschland geboren und" (!) "aufgewachsen ist, soll seinen deutschen Pass nicht verlieren und keiner Optionspflicht unterliegen", was per Definition die Berechnung von BIP und BNE nicht vereinfachen dürfte und steuerlich neue Optionen zur Flucht bietet. So wäre – ein Glück - dann also der volkswirtschaftliche Erfolg der Regierung auch nicht mehr korrekt messbar. Nach der NSA-Affäre klingt der abschließende Satz eher wie Hohn: "Wir werden auch im digitalen Zeitalter Sorge für Datensicherheit und Datenschutz tragen."

Kriminalität bekämpfen und Sicherheit gewährleisten
Man will "einen Staat, der Freiheit und Sicherheit für die Menschen überall gewährleistet". So soll an “Kriminalitätsschwerpunkten, wie etwa auf Bahnhöfen, [...] der Einsatz von Videokameras verstärkt werden", der "Schutz vor Wohnungseinbrüchen [...] verbessert werden". Da auch nur an Unfallschwerpunkten geblitzt wird, sind wir zuversichtlich und auch die Freiheit ist diversen Innenministern seit Jahrzehnten das höchste Gut ...

Starkes und stabiles Europa – Deutschlands Zukunft
Dieser Worte sollte man sich immer wieder erinnern: "Unser Grundsatz [...]: Solidarität und Eigenverantwortung gehören zusammen. Dieser Weg wäre mit einer Vergemeinschaftung von Schulden unvereinbar."
Ein "soziales Europa ist für uns von gleichrangiger" (!) "Bedeutung wie die Marktfreiheiten im Binnenmarkt", welche letztlich dazu führte, dass soziale Gewichte sich immer weiter verschoben und Regierungen und Volkswirtschaften nur noch getrieben vom Weltmarkt reagieren können? Oder ist plötzlich, gerade für das exportorientierte Deutschland, eine Abschottung des Binnenmarktes zu globalen Märkten eine Option?

Verantwortung in der Welt für Frieden und Menschenrechte übernehmen
"Sicherung von Frieden und Freiheit und [...] Wahrung von Menschenrechten" "durch eine zurückhaltende Rüstungsexportpolitik fördern" zu wollen, klingt grotesk.
Worum es geht, wird aber auch erwähnt: "Unterstützung der Entwicklung von Staaten und Regionen" und "gemeinsam mit unseren Partnern in Europa [...] die globale Ordnung mitgestalten".
Und noch deutlicher: "Dabei leiten uns die Werte und Interessen unseres Landes."
Missionarische Haltung und Durchsetzung von Interessen mit diesen Mitteln hat in der Geschichte bisher immer Folgen gehabt, die nicht zur Nachahmung aufrufen. Soll am deutschen Wesen wieder mal die Welt genesen?

Das Bonbon zum Schluss:

Deutschlands Zukunft gestalten
"Gemeinsam mit den Menschen in unserem Land wollen wir Deutschland in eine gute Zukunft führen. Unser Maßstab für eine erfolgreiche Politik ist die Lebensqualität der Menschen in Deutschland und Europa und die Wirksamkeit unseres Handelns. Die Aufgabe der von uns getragenen Bundesregierung ist es, die Weichen richtig zu stellen und Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich unser Land gut entwickelt und die Menschen ihr Leben frei und sicher gestalten können."
Nun denn.

Ich hoffe es hat ein wenig Freude gemacht, Impulse gegeben und angeregt.
Nehmen Sie mir bitte Überspitzungen nicht übel - immer haben viele Dinge zwei oder mehr Seiten, von denen - so mein Eindruck beim Lesen des Dokumentes - oft einige ausgeblendet werden, obgleich die Dinge nicht so einfach sind.

In der Fortsetzung gehe ich - einzeln und kürzer - in die Detailpunkte des Koalitionsvertrages.

Ihr
Stefan Mosig

Große Koalition – Vorwort

Um es vorweg zu sagen:

Heute ist Sonntag der 1. Advent. Ein eher beschaulicher Tag, den Sie hoffentlich mit Muße verbringen (können), daher fällt der gleich folgende Einstiegsblog etwas länger aus.
In Folge wird es in den Einzelpunkten des Koalitionsvertrages kürzer und detaillierter.

Diese Blogreihe will Impulse geben - zum Nachdenken, zum Meinung bilden, ändern oder auch darauf beharren anregen.

Es handelt sich hier ausdrücklich um eigene Meinung und kritische Anmerkungen, die wir zwar versuchen, so sachlich wie möglich zu untermauern, was sicherlich jedoch nicht immer gelingen wird. Wir bitten dies nachzusehen.

Als sich auch wissenschaftlich mit dem Thema Wirtschaft auseinandersetzender freiberuflicher Unternehmensberater für KMU, Start-Ups, Gründer und junge Unternehmen bewegen ich und meine Partner uns genau in der Klientel, die (oder deren Kunden, Lieferanten oder Mitarbeiter) durch die eine oder andere Lobbyentscheidung oder Entscheidung zu Gunsten von Schieflagen oder leichtfertig geschriebenen, jedoch in Konsequenz sehr wirksamen, Ankündigungen einer durchaus sehr negativen Wirkung ausgesetzt werden kann.
Allgemeine Wohlstandsmehrung u.a. durch starke Binnenkaufkraft, höhere Gerechtigkeit im sozialen Gefüge mit allen Auswirkungen auf Bildung, Ausbildung und Lebensplanbarkeit auch in den unteren 2/3 der Gesellschaft hilft genau dieser Gruppe von Unternehmern: Ihnen, also unseren (potenziellen) Kunden.

Ich wünsche viel Spaß beim Lesen
und einen besinnlichen 1. Advent
Ihr Stefan Mosig

Der Weg zum Kalender … http://mcp.com.de/weihnachtskalender.html